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balaton-service.info - Das Forum für Ungarn / D i e s & D a s / Dies & Das / Reiseminiaturen (Ungarn, Balaton)
In diesem Thread befinden sich 1 Posts.
Blasius
icon01.gif Reiseminiaturen (Ungarn, Balaton) - 30.10.2009, 17:26:00

8711 Posts - Magyar Vagyok
Kocsis
Reiseminiaturen

Von Manfred Maurer

UNGARN


In einem heissen Sommer fuhr ich mit dem Zug nach Ungarn.
Budapest war eine schöne Stadt. Nach meiner Ankunft in der
Abenddämmerung trank ich eine Flasche Rotwein und nahm
mir ein Zimmer in einem Drei-Stern-Hotel. Etwas anderes war
in der Eile nicht zu finden. Im Frühstücksraum hatte ich
zwischen ungarischer Salami und Schinken, Kaffee und Tee
zu wählen. Ich entschied mich für Orangenjuice und Marlboro.
Ich hatte arge Kopfschmerzen und verliess noch vor Mittag
die Stadt.

Im Zug nach Balatonfüred lärmte ein Trupp uniformierter Zwerge,
der zu einem Sommerlager unterwegs war. Die roten Halstücher
stachen sehr schön von den blauen Blusen ab. Ein Bauer, der eine
Gans bei sich hatte, strahlte mich an und offerierte mit unentwegt
seine Barack-Flasche. Ich liess mich nie öfter als zweimal bitten.
Als dann unsere Lokomotive mit Motorschaden ausfiel und wir
auf den Anschlusszug warten mussten, besorgte ich uns ein Bier.
Wir hatten eine schöne Reise.

Der lindgrüne Balaton glänzte in der Nachmittagssonne.
Ich stieg direkt vom Bahnhof kommend, über gebräunte
Beine, schwamm in Sonnenöl und kämpfte gegen Schling-
pflanzen. Als meine Haut wieder trocken war, dedrückte
ich einen Fisch vom Holzkohlengrill. Nebenan ballerten sie
mit Luftdruckgewehren auf Papierblumen und Luftballons.
Ich absolvierte eine kurze Sightseeingtour und mietete
ein Gartenhaus.

Die Tage verbrachte ich künftig am See, die Nächte vorwiegend
in den Discos. Es war sehr langweilig. Ich schluckte farbige
Flüssigkeiten, was ich nur kriegen konnte, und torkelte auf
den schillernden Tanzflächen herum. Das verlangten junge
DDR-Bürger Haschisch von mir, aber ich hatte nur die Stalin-
Biographie von Erich Fromm zu bieten. Mein Renommee
sackte weg wie ein getroffener Pappkamerad.

In lichten Momenten führte ich, auf schattigen Terrassen sitzend
und Kesselgulasch mampfend, schöne Gespräche. In der DDR,
erfuhr ich, waren Elektroschocks nötig, um geisteskranke Menschen
zu heilen. Wenn du am Alexanderplatz „Give Peace a Chance“
von John Lennon spielst, erfuhr ich, marschiert die Volkspolizei
auf und zertritt deine Gitarre. Ich hatte auch über mein Land
einiges zu berichten.

Wieder in Budapest, übernachtete ich am Bahnhof im Wartesaal.
Alle zwei Stunden wurden wir von einem weiblichen Feldwebel
geweckt. Ich widmete der netten Dame die letzte Flasche Barack
und nahm den ersten Zug.

Entnommen aus „Manfred Maurer zum Gedenken“
Mark Twain sagte einmal:
"Eine Lüge ist bereits dreimal um die Erde gelaufen, bevor sich die Wahrheit die Schuhe anzieht."
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